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Holz oder kein Holz:
Nicht nur eine Frage des Materials
Es ist eine der Gretchenfragen des modernen Weinbaus: Holz oder kein Holz? Während Puristen auf die Reinheit des Stahltanks schwören, preisen Traditionalisten das Eichenfass als heiligen Gral des Ausbaus. Doch wie so oft im Leben liegt die Wahrheit irgendwo zwischen den Stilen – oder vielleicht doch in einer ganz eigenen Glasphilosophie?
von Anselm Link am 17.01.2025
Team Edelstahl: «Keep it clean!»
Die Stahltank-Fraktion argumentiert mit Klarheit. Ohne den Einfluss von Holz können Rebsorten wie Riesling oder Sauvignon Blanc ihr volles aromatisches Potenzial am besten entfalten. Es ist, als ob man die Bühne für einen Solokünstler frei räumt: keine störenden Nebengeräusche, nur pure, präzise Frucht und die mineralische Essenz des Terroirs. Doch Purismus kann manchmal auch steril wirken. Ein Chardonnay ohne jeglichen Holzkontakt mag knackig sein, aber fehlt ihm nicht manchmal die Tiefe, die Persönlichkeit? Ist ein komplett «cleaner» Wein nicht wie ein glattgebügelter Lebenslauf – tadellos, aber irgendwie langweilig? Während die einen argumentieren, dass die reine, ungeschönte Essenz eines Terroirs am besten ohne Holzfass transportiert wird und der Rohdiamant am Schönsten ohne Schliff glänzt, hält die Fraktion der klassischen Kellermeister und Kellermeisterinnen dagegen, dass ein Wein wie ein grosses Werk ist, das einen Rahmen braucht – und Holz gibt ihm genau das.
Team Holz: «Oaked and loaded!»
Auf der anderen Seite steht also das Holzfass, besonders das ikonische Barrique. Dieses kleine, nur 225 Liter fassende Eichengebinde bringt Struktur, Körper und oft auch verführerische Aromen von Tabak, Karamell oder Toast mit sich. Ein gut gereifter Bordeaux oder ein üppiger Napa-Cabernet ohne Holz? Fast undenkbar. Holz ist wie der Bass in der Musik: Es gibt dem Wein ein tiefes Fundament und vibrierenden Groove. Doch Holz birgt auch Gefahren. Zu viel davon – Stichwort «overoaked» – und der Wein wird zu einem Parfum, das seine Herkunft verschleiert. Erinnern wir uns an die "Chardonnay-Bomben" der 90er-Jahre, die mehr nach Butter und Popcorn schmeckten als nach Trauben, geschweige denn Terroir. Holz will gekonnt eingesetzt sein, sonst erdrückt es den Wein.
Ein moderner Vergleich: Vinyl oder Spotify?
Vielleicht ist die Frage nach Holz oder kein Holz im Wein ein bisschen wie der Vergleich zwischen oldschool Vinyl und zeitgemäßem Streaming. Stahltank steht für Präzision, Moderne und den Wunsch, jeden Ton – oder jede Nuance – perfekt wiederzugeben. Holz hingegen hat diesen analogen, warmen Touch, für den man gerne bereit ist, auf ein bisschen Klarheit zu verzichten und dafür ein komplexeres Gesamtbild mit ein paar erwünschten Nebengeräuschen zu erhalten.
Balance ist alles
Weder Holz noch dessen Abwesenheit sind per se besser – es ist eine Frage des Gleichgewichts. Der beste Ausbau ist immer der, der den Wein unterstützt, nicht dominiert. Ein zu stark getoastetes Fass kann einen filigranen Riesling erdrücken, während ein kraftvoller Cabernet Sauvignon ohne Holzeinsatz möglicherweise an Statur verliert. Hier zeigt sich, wie wichtig ein feines Gespür für das Zusammenspiel von Rebsorte, Herkunft und Ausbau ist.
Vielleicht ist es also an der Zeit, den alten Dualismus endlich zu überwinden. Viele der spannendsten Weine kombinieren längst Elemente aus beiden Welten: ein kurzer Ausbau im Holzfass für Komplexität und Struktur, gefolgt von einer Lagerung im Stahltank für Stringenz und Frische. Weine mit subtil toastiger Nase und mineralisch-geradlinigem Gaumen sind mittlerweile keine Seltenheit mehr. Oft kommen heute sogar noch weitere Materialien beim Ausbau zum Einsatz – Beton, Granit und Terracotta gehören heute auch zum Material-Repertoire im Weinkeller. Wenn alles gut läuft, erinnert die fertige Weinkomposition an einen Jazzsong, der klassische Harmonie mit avantgardistischen Groove verbindet.
Wie so vieles im Leben ist auch das Thema Holz im Wein eine Frage des persönlichen Geschmacks. Und da Probieren meist bekanntlich über Philosophieren geht, öffnen Sie am besten eine Flasche von jeder Stilistik und geniessen den Dialog im Glas – vielleicht sogar gemeinsam mit ein paar guten Freundinnen und Freunden bei einer lebhaften Diskussion am Tisch.
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